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Vier Fragen an Florian Schroeder

Florian Schroeder (Jahrgang 1979) begann bereits als Student seine Bühnenkarriere als Kabarettist und Parodist, sammelte Erfahrungen als Radio- und Fernsehmoderator und erhielt zahlreiche Auszeichnungen.

Er moderiert die SWR-Kabarettsendung „Spätschicht“, ist erfolgreicher Buchautor und bei WDR 2, radioeins und hr1 ist er wöchentlich mit seinen Radiokolumnen zu hören. Herr Schroeder ist ein gefragter Meinungsbildner der jungen Generation und gern gesehener Gast in Talkshows.

______  Vielbeachtet war  sein Auftritt  am 8. August 2020 auf einer Anti-Corona-Demonstration in Stuttgart. Florian Schroeder wurde zu dieser Veranstaltung eingeladen, weil die Organisatoren eine satirische Auslassung über Verschwörungstheorien von ihm im NDR als vermeintliche Offenlegung von Fakten missverstanden haben. Er spielte anfangs mit den Erwartungen des Publikums und nutzte den Auftritt dann für einen Appell, die Schutzmaßnahmen einzuhalten. Seine Plädoyers für mehr Offenheit und Meinungsvielfalt haben uns so beeindruckt, dass wir Herrn Schroeder persönlich kontaktiert und ihm ein paar neugierige Fragen gestellt haben.

Herr Schroeder, Sie haben sich bei der Anti-Corona-Demo in Stuttgart allein auf die Bühne getraut. Was ist das für ein Gefühl, wenn man seine Haltung vor einer großen Menschenmenge vertritt, die anders denkt als man selber?

Ich fand das sehr produktiv und im besten Sinne erweckend. Es ist wichtig, sich immer wieder dem auszusetzen, was scheinbar nicht der eigenen Linie entspricht. Es ist eine Art Immunisierung. Wir alle bewegen uns viel zu häufig in einem Umfeld, das nur die eigenen Worte noch lauter widerhallen lässt. Das kommt am Ende einer Selbsteinschläferung gleich. Insofern war es eine Herausforderung, ein Publikum zunächst für sich zu begeistern, um es anschließend mit einer Meinung zu konfrontieren, die ihm nicht entspricht. 

Warum faszinieren uns schlechte Nachrichten und negative Meinungen so viel mehr als gute?

Das hat psychologisch sehr gut nachweisbare Gründe. Schlechte Nachrichten haben Warnhinweis-Charakter. Das Angstzentrum wird getriggert, wir werden aufmerksamer, da alles Negative wie eine potenzielle Gefahr wahrgenommen und dadurch von unserem Gehirn als wichtiger und relevanter eingestuft wird.

Schlechte Nachrichten haben Warnhinweis-Charakter.

 FLORIAN SCHROEDER

Lesen wir deswegen bei Produktrezensionen im Netz nicht zuerst die vielen guten, sondern die einzige schlechte? 

Was die Produktrezensionen angeht, gibt es wohl unterschiedliche Verhaltensweisen. Menschen, die eher zum Pessimismus neigen, suchen wohl eher Gründe, warum etwas ohnehin schlecht und damit nicht gut genug für sie sein kann. Man nennt diese Leute Optimierer – Leute, die immer nur das Beste suchen, darum auch länger suchen, häufig mehr bekommen und mehr verdienen, aber auch unzufriedener sind mit ihrem Leben. Diese Gruppe neigt wohl auch eher zu negativen Rezensionen. Ich muss gestehen, dass ich auch lieber negative Bewertungen lese – aber eher, um herauszufinden, ob die Kritik wirklich differenziert ist oder ob doch nur jemand den Staubsauger schlecht bewertet, weil er zu spät angekommen oder ob der Leser eines Buches es vor allem deshalb schlecht findet, weil er schon am Vorwort gescheitert ist.

Man nennt diese Leute Optimierer – Leute, die immer nur das Beste suchen, darum auch länger suchen, häufig mehr bekommen und mehr verdienen, aber auch unzufriedener sind mit ihrem Leben.

 FLORIAN SCHROEDER

Querdenker, Putinfreund, Klimakleber: Wer heute anders denkt und handelt als der Mainstream, wird verbal stigmatisiert und verwirkt das Recht, dass man ihm zuhört. Können wir noch zu einer offenen, neugierigen und entspannten Geisteshaltung zurückfinden, bei der wir nur noch Ansichten teilen und Urteile fällen, die auf soliden Fakten basieren? 

Zunächst erscheint mir wichtig, dass hier eine kognitive Ver­zerrung vorliegt: Die scheinbare Spaltung der Gesellschaft, die Zuspitzung der Positionen, geht vor allem von sehr lauten Minderheiten aus, die zwar sehr präsent, aber oft nicht repräsentativ sind. Ich meine, es gibt diesseits der Ränder eine breite Mehrheit, die eher verunsichert ist über die Zeitläufe und darum auch eine große Offenheit besitzt gegenüber unterschiedlichen Positionen. Weniger, um sich mit ihnen leichtfertig gemein zu machen, als vielmehr, um das Angebot an Haltungen in Augenschein zu nehmen und zu einer eigenen Position finden zu können – und sei es die der Ambivalenz. Dennoch lässt sich feststellen, dass wir heute eine Tendenz haben zu einer ge­fährlichen Eindeutigkeit. Der Wunsch, sich im eigenen Welt­bild bestätigt zu sehen, hat stark zugenommen – und damit auch die schärfere Abgrenzung zu Meinungen und Positionen, die nicht der eigenen entsprechen. Das hemmt die frucht­bare Lernbeziehung sowohl zwischen den Generationen als auch den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen.