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Grenzgänger

______  Christoph Almering, der neue Aufsichtsratsvorsitzende 
 der Volksbank Gronau-Ahaus, führt seit 2017 die Geschäfte bei 
 der EUREGIO.
Was leistet seine Organisation eigentlich konkret, um den Menschen in unserer Region das Leben als Grenzgänger zwischen den Niederlanden und Deutschland leichter zu machen? Wir sind in die EUREGIO-Zentrale nach Gronau gefahren und haben ihn gefragt.

EUREGIO-INFO

Umfasst eine Fläche von rund 130.000 Quadratkilometern. In ihren 129 Städten, Gemeinden und Landkreisen leben 3,4 Millionen Einwohner. Auf niederländischer Seite zählen die Regionen Achterhoek, Twente sowie zahlreiche Gemeinden der Provinzen Overijssel, Gelderland und Drenthe zur EUREGIO, in Deutschland sind es die Landkreise Grafschaft Bentheim, Osnabrück sowie Teile des Landkreises Emsland und in Nordrhein-Westfalen das gesamte Münsterland.

Wir wollen den Menschen hier den täglichen Sprung über die Grenze leichter machen.

Herr Almering, an der Spitze eines regionalen Zweckverbandes wie der EUREGIO vermutet man eher einen Mann aus der Wirtschaft als einen studierten Publizisten. Welcher Weg hat Sie nach Gronau geführt?
Das war sicher eher ungewöhnlich, würde ich mal sagen. Ich wurde in Ahaus geboren und bin in Wüllen aufgewachsen, habe dann aber nach meinem Studium in Münster als Journalist einige Jahre in verschiedenen Ecken Deutschlands gearbeitet, vor allem als Politik- und als Sportredakteur bei deutschen Tageszeitungen. Dann hat es mich in meine Heimatregion zurück verschlagen, als Chefredakteur bei Wirtschaft aktuell, dem führenden lokal-regionalen Wirtschaftsmedium im Münsterland und im südlichen Niedersachsen. Daher wohl auch meine hohe Affinität zu Wirtschaftsthemen.

Das hört sich aber nicht wirklich ungewöhnlich an.
(lacht) Nein, das Ungewöhnliche begann erst mit meinem Schritt in die Verwaltung bei der Stadt Ahaus, wo ich eine neue Stabsstelle für Öffentlichkeitsarbeit und Wirtschaftsförderung aufgebaut habe und später dann Verwaltungsvorstand wurde, 2015 auch Bürgermeisterkandidat war. Dann ging es zurück in die freie Wirtschaft und von dort zur EUREGIO. Dort spürte ich sofort, dass das zu mir passt. Als Mann aus der Region hauptberuflich für die Region zu arbeiten, das war und ist eine tolle Herausforderung und Aufgabe.


Name Christoph Almering 
Alter 54 Jahre 
Stammt aus Ahaus-Wüllen 
Sport Aquaball, früher Fußballer beim TuS Wüllen
Ehrenamt Vorsitzender im Musikverein Wüllen 1911 e. V. 
Lieblingsort die „Quantwickrunde“ beim Spaziergang mit Familie und Hund in der Bauernschaft Quantwick bei Wüllen mit dem Waldgebiet Bröke

Können Sie uns die Grundidee von EUREGIO kurz erläutern? 
Gerne. Die Idee stammt gewissermaßen von Alfred Mozer, einem deutsch-holländischen Politiker, der im Dritten Reich verfolgt wurde und sich während der Kriegsjahre in Rotterdam versteckte. Er wollte wieder verknüpfen, was der Krieg getrennt hatte. Mozer war ein leidenschaftlicher Verfechter des Europa-Gedankens und Förderer grenzüberschreitender Begegnungen. Als die EUREGIO 1958 gegründet wurde, also nur 13 Jahre nach Kriegsende, war das bei den vorherrschenden gegenseitigen Ressentiments ein sehr mutiger Schritt. Seine Meinung war aber: „Wenn es hier nicht funktioniert, funktioniert es nirgendwo“, denn schließlich war unsere Region trotz der politischen Grenze jahrhundertelang stets eng verbunden. Hier lebt der gleiche Menschenschlag wie in den Niederlanden und im Münsterland wurde sogar ein ähnliches Platt gesprochen wie in Twente und im Achterhoek. Mozer hat sich damals sehr engagiert und sich unbürokratisch über Partei- und Ländergrenzen hinweggesetzt. Heute arbeiten wir bei der EUREGIO dafür, die Barrieren zwischen den Niederlanden und Deutschland immer weiter abzubauen.

Außer für die zwischenmenschlichen Beziehungen ist das bestimmt auch wirtschaftlich wichtig, oder?
Ja, auf jeden Fall. Durch unsere Grenzlage sind wir hier auf beiden Seiten zunächst einmal gleichermaßen benachteiligt. Wenn wir aber nationenübergreifend denken, bringt das auch wirtschaftlichen Gewinn. Wir sagen, EUREGIO ist ein Europa im Kleinen. Gemeinsam sind wir stärker und können so den Anschluss an andere, günstiger gelegene Regionen behalten. Oder mehr noch: Aus einem ursprünglichen Nachteil kann sogar ein Vorteil werden, wenn wir das Beste aus beiden Ländern vereinen. Übrigens waren wir die erste EUREGIO, die geniale Idee von Alfred Mozer wurde danach noch von vielen anderen EUREGIOS übernommen. Finde ich gut, je mehr wir sind, desto besser.

Wir sagen, EUREGIO ist ein Europa im Kleinen.

CHRISTOPH ALMERING

Die EUREGIO hat seitdem viel erreicht. Was würden Sie als Meilensteine bezeichnen?
Am wichtigsten war vielleicht die Einrichtung der Bürgerberatung für Grenzpendler, des heutigen GrenzInfoPunkts EUREGIO, der eng mit den anderen Grenzinfopunkten entlang der deutsch-niederländischen Grenze zusammenarbeitet. Dort kann man sich individuell zu den Themen Arbeiten, Unternehmen, Wohnen und Studieren im jeweiligen Nachbarland informieren und beraten lassen, egal ob man Arbeit oder einen Studienplatz sucht, Personal aus dem Nachbarland einstellen will, umziehen möchte, täglich zwischen den Ländern pendelt und so weiter. Das war damals wie heute sehr wichtig, weil es dabei jede Menge Formalitäten zu erledigen gibt. Es geht ja oft tief hinein in komplizierte Bereiche wie Steuern, Sozialversicherungen oder Arbeitsrecht. Wir wollen durch unsere Arbeit und persönliche Beratung einen Beitrag dazu leisten, dass sich die Menschen hier ungehindert in jede Richtung orientieren können, beruflich und kulturell, dass sie einen 360-Grad-Blick bekommen, um die zahlreichen Möglichkeiten rund um sie herum besser erkennen und nutzen zu können.

Sie haben auch während der Coronakrise versucht, den zwischenstaatlichen Grenzverkehr möglichst nicht einzuschränken. Wieso?
Wissen Sie, unser Verständnis kommt aus der Geschichte und dem besonderen Verhältnis zum jeweiligen Nachbarland. Wir haben uns gegen die Grenzschließungen ausgesprochen, und bis heute waren die Grenzen auch nie geschlossen. Das haben wir durch Beharrlichkeit erreicht. Selbst als die Inzidenzwerte in den Niederlanden höher waren als in Deutschland, sahen wir in einer Schließung erheblich mehr Nachteile als Vorteile, denn das Virus kennt schließlich keine Grenzen und Stadtmauern. Es hatte riesige Staus mit lebensnotwendigen Gütern gegeben und Zehntausende von Grenzpendlern waren betroffen. Die Debatte wurde sehr emotional geführt, da wurde zum Beispiel direkt neben mir der Fahrer eines niederländischen Autos auf einem ALDI-Parkplatz angesprochen, was er denn als Niederländer in Deutschland zu suchen hätte. Sofort war die Grenze in den Köpfen also für einige wieder da. Der Niederländer antwortete übrigens seelenruhig: „Ich arbeite hier.“ Das gefiel mir. Trotz oder gerade wegen der offenen Grenze haben wir aber natürlich nichts dem Zufall überlassen und eine Corona-Taskforce mit Beteiligung aller EUREGIO-Standorte und der NRW-Staatskanzlei in Düsseldorf eingerichtet, um wichtige Abstimmungen herbeizuführen und gleichzeitig damit einen Beitrag für mehr Sicherheit und Wirtschaftsfähigkeit zu ermöglichen.

Kommen wir noch einmal auf die Meilensteine zurück. Gibt es da einen, an den sich die Menschen hier vielleicht noch besonders gut erinnern?
Ich glaube, das war die Wiedereröffnung der alten, stillgelegten Bahnstrecke Gronau–Enschede 2001, dadurch wurden die beiden Länder wieder per Schiene verbunden. Das wurde von den Menschen hervorragend angenommen. Die gesamte Direktverbindung von Münster bis Enschede wird heute in Spitzenzeiten von bis zu 10.000 Fahrgästen am Tag genutzt. Der grenzfreie Bahnverkehr hat die Attraktivität der Region zudem deutlich aufgewertet. Die neue Strecke ist heute ein Teil der angestrebten Gesamtlösung einer durchgehenden Zugführung von Münster nach Zwolle beziehungsweise im größeren Kontext von Amsterdam nach Berlin.

Was plant EUREGIO für die Zukunft? 
Jede Menge! Zum Beispiel wollen wir den Arbeitsmarkt noch stärker als bisher grenzüberschreitend fördern und arbeiten dafür eng mit den deutschen und niederländischen Arbeitsverwaltungen im Grenzgebiet sowie mit der Wirtschaft zusammen. Wir wollen grenzenlosen Kompetenz- und Wissenstransfer, frisches akademisches Blut und weltoffenes Denken. Dabei müssen wir trotz der neuen Verbundenheit aber selbstverständlich auch die kulturellen Unterschiede atmen lassen und sichtbar machen. Die Deutschen werden bisweilen für ihren Hang zum Perfektionismus und ihr Organisationstalent von den Niederländern sehr geschätzt, aber manchmal auch als zu starr angesehen. Die Niederländer wiederum kommen wegen ihrer Kreativität und Flexibilität bei den Deutschen oft sehr gut an, aber manchmal wirken sie ihnen dann auch wieder eine Spur zu locker. Das alles ist aber überhaupt nicht schlimm. Im Gegenteil, das soll ruhig so bleiben, wir wollen zwar für bilaterale Chancengleichheit sorgen, aber dabei die jeweiligen Kulturen authentisch und stark lassen, denn schließlich profitieren beide Seiten auch von den Unterschieden.

Im EUREGIO-Gebiet lernen übrigens immer mehr Deutsche die niederländische Sprache, die wissen schon genau, warum.

CHRISTOPH ALMERING

Haben Sie ein konkretes Beispiel für diese Chancengleichheit? 
Da wäre zum einen die gegenseitige Anerkennung von Berufsabschlüssen im jeweiligen Nachbarland. Wichtig ist auch der gesamte Bildungsbereich mit unserer Zielsetzung, euroregionale Kompetenzen dauerhaft und nachhaltig zu vermitteln, hier fällt mir spontan der Nachbarsprachenunterricht vom Kindergarten bis in die Hochschule ein. Gute Sprachbildung ist nicht nur ein wichtiger Schlüssel zur Kultur, sondern ermöglicht gleichzeitig bessere Berufsaussichten. Im EUREGIO-Gebiet lernen übrigens immer mehr Deutsche die niederländische Sprache, die wissen schon genau, warum. Ein weiteres Schwerpunktthema sind Infrastruktur und Verkehr, da waren wir damals schon mit der Strecke Münster–Enschede der Zeit voraus, denn neuerdings wird aus Nachhaltigkeits- und Klimaschutzgründen ja überall wieder zunehmend auf den Schienenverkehr gesetzt. Das wird übrigens in Zukunft noch von enormer Bedeutung für unsere Region sein. Vielen ist im Moment nicht wirklich bewusst, dass wir uns hier mitten auf einer riesigen europäischen Verkehrskreuzung befinden, der Nord-Süd-Achse von Stockholm bis Genua und der Ost-West-Achse von Amsterdam nach St. Petersburg. Rund um diese Kreuzung brauchen wir starke Anbindungen, und diese wiederum sind wichtige Adern im grenzüberschreitenden Verkehr.

Wie packt EUREGIO diese Zukunftsprojekte an?
Das alles erfordert natürlich sehr viel langfristige strategische Planung und ein starkes Selbstbewusstsein. Wir verstehen uns aufgrund unserer hohen Wirtschaftskraft durchaus als Metropolregion, oder sagen wir besser: Stadt-Land-Region. Auch wenn wir kein Ballungszentrum sind wie beispielsweise die Metropolregionen Hamburg oder Rhein-Ruhr. Aber wir haben mit Münster, Osnabrück und Enschede drei sehr attraktive Städte und sind vor allem durch die hohe Innovationskraft in den ländlichen Bereichen eine der stärksten Wirtschaftsregionen Deutschlands. Die EUREGIO kümmert sich daher für die Zukunft um eine starke Ausbalancierung von Stadt und Land, weil beide voneinander profitieren können, und wir sind zuversichtlich, das auch umgesetzt zu bekommen.

Welche Schlüsselindustrie ist die Basis für den wirtschaftlichen Erfolg in der Region?
Die Antwort ist einfach: Es gibt keine. Früher war hier alles von der Textilindustrie bestimmt, die brach dann aber langsam zusammen, unter anderem, weil sie nie subventioniert wurde. Am Ende des Tages war das wahrscheinlich gut so. Heute haben wir nicht mehr nur ein Standbein, sondern sind ein wirtschaftlicher Tausendfüßler, sehr heterogen strukturiert, von der Landwirtschaft bis zur digitalen IT-Ideenschmiede. Das versuchen wir durch regionales Innovationsmanagement gezielt zu fordern. Sie glauben gar nicht, wie unglaublich viele Hidden Champions diese Region hat, und zwar auf beiden Seiten der Grenze, und darauf sind wir sehr stolz.