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Tropen, Träume
und Taifune.

______  In Krisenzeiten träumen viele Menschen von einem sicheren, stressfreien Leben, am besten in einem Land mit viel Sonnenschein und dem Meer direkt vor der Haustür. Unser ehemaliger Kollege Erik Reinermann aus   Schöppingen und seine Frau Ina sind diesem Traum gefolgt und leben heute   auf der philippinischen Palmeninsel Siargao. Wir waren neugierig, wie es ihm dort geht, und haben ihn neulich einfach einmal angerufen.

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1.
Foto: Alejandro Diaz Borges

1. Das malerische Siargao gehört zum riesigen Naturschutzgebiet Siargao Islands Protected Landscapes and Seascapes.

Erik Reinermann ist in Manila auf den Philippinen geboren. Bis zu seinem 13. Lebensjahr lebte er mit seiner Familie auf den Philippinen und ging dort mit seiner Schwester zur Schule. Dem Umzug nach Deutschland folgten Fachabitur und eine Ausbildung zum Finanz- und Versicherungsmakler. Anschließend arbeitete er zunächst als Vermögensberater bei der Sparda-Bank in Münster und später als Wertpapiertrainer für Union Investment, erst in München und zuletzt in Gronau, um näher bei seiner Familie in Schöppingen zu sein. 2019 zog er mit seiner Familie auf die philippinische Insel Siargao, um ein Leben am Meer aufzubauen und sich dem Surfen zu widmen.

Erik, warum eigentlich Siargao?
Ganz einfach: Wir haben uns in die Insel verliebt. Immer wenn wir im Urlaub waren, haben wir nach genauso einem Ort gesucht, an dem wir später einmal leben können. Als wir Siargao entdeckten, habe ich noch bei euch gearbeitet und Ina war noch Journalistin bei Burda und hatte dort sogar ein eigenes Magazin, das dann vom Verlag gekauft wurde. 

Ihr habt beide eure Karrieren an den Nagel gehängt und seid eurem Herzen nach Siargao gefolgt. Dort habt ihr dann euer eigenes Business gestartet, die Boutik Tropik. Das Ganze lief aber nicht ganz so wie erwartet, oder?
Leider nicht. Die Boutik Tropik haben wir als digitale Interior-Boutique für Menschen aufgebaut, die gerne reisen und zu Hause daran erinnert werden wollen. Für die gibt es dort handgefertigte Living- und Lifestyle-Accessoires, die von den besten Kunsthandwerkern des Archipels angefertigt werden, inspiriert von der Landschaft, in der sie leben. Die Boutique sollte damit auch eine Bühne für unentdeckte Talente sein. Später wollten wir die ganze Idee noch weiterentwickeln und ein Boutiquehotel mit unseren Möbeln eröffnen, ein Hotel, wo man inmitten von Kunst wohnt und diese auch kaufen kann. Wir waren insgesamt sehr zuversichtlich, denn Siargao ist sehr angesagt in der internationalen Traveller-Community. Tja, und dann kam Corona.

Welche Auswirkungen hatte die Pandemie denn für euch?
Wir mussten uns komplett umstellen. Die Boutik Tropik funktionierte plötzlich nicht mehr, denn Reisen wurde fast unmöglich. Auch der Versand wurde wegen der strengen Auflagen schon in den Startlöchern gebremst. Daraufhin haben wir unser Lager in Deutschland geräumt und die Pausetaste bei der Boutique gedrückt.

Hat euch das nicht große Sorgen bereitet? Schließlich stand ja eure finanzielle Zukunft auf dem Spiel.
Sorgen? Eher nicht. Es gab in meinem Leben Zeiten, in denen ich viel Geld hatte, und Zeiten mit wenig Knete. Klar, viel Geld ist geiler, weil man sich ein paar zusätzliche Freiheiten leisten kann, etwa Urlaube, oder schon für die Zukunft vorsorgen kann. Geld ist für Ina und mich aber nicht alles, wir brauchen das nicht zum Glücklichsein und wollen unser Leben nicht von morgens bis abends danach ausrichten. Viele Menschen mögen dazu bereit sein und das ist auch absolut okay, aber wir haben eben einen anderen Lebensentwurf. Wir nehmen unser Schicksal selbst in die Hand und handeln selbstverantwortlich. Übrigens, ganz nach dem Prinzip meiner alten Bank (lacht). Klar ist das mit Risiken verbunden und niemand schenkt dir was, aber auch durch eine Anstellung entsteht ja heute keine echte Sicherheit mehr.

Du bist auf den Philippinen geboren, hast lange in Deutschland gelebt und pendelst heute zwischen beiden Welten. Wie unterscheiden sie sich?
Also, ich fühle mich in beiden Welten absolut zu Hause und versuche, das Beste aus beiden mitzunehmen. Wie ihr wisst, sind die Philippinen ein Entwicklungsland. Man sieht und erlebt hier Armut, die man sich in Deutschland kaum vorstellen kann. Man wird sich hier des eigenen Wohlstands bewusst und lernt, das Glück, das man hat, viel mehr zu schätzen. Daher sind wir hier trotz aller Probleme mehr als zufrieden. 

Welche Probleme außer Corona meinst du damit?
Wir mussten für die Verwirklichung unseres Traums echt hart kämpfen. An manchen Tagen war hier absoluter Vollstress. Bei Behördengängen kommst du dir zum Beispiel vor wie im Zirkus, allein schon das Motorrad anzumelden, kostet dich einen ganzen Tag. Alles Amtliche ist immer mit endlosem Warten verbunden, auf nichts kannst du dich verlassen. Dazu kommt, dass das hier eine Insel ist und du einfach alles herankarren musst. Der lange Transport treibt dann natürlich die Preise in die Höhe. Wer sich überlegt hierherzukommen, braucht in jedem Fall vorher einen Realitätscheck und keine rosarote Brille. Ich habe ihn gemacht – und würde trotz mancher Probleme nicht wieder zurück nach Deutschland gehen wollen.

Wir mussten uns komplett umstellen. Die Boutik Tropik funktionierte plötzlich nicht mehr, denn Reisen wurde fast unmöglich.

ERIK RIENERMANN

Ina und Erik Reinermann haben ihr Schicksal in die eigene Hand genommen und auf Siargao eine neue Heimat gefunden.

Das sieht man ja auch schon daran, dass ihr euch auf Siargao ein Haus gebaut habt.
Genau. 2019 haben wir mit dem Bau begonnen. Ich hatte das Projekt übrigens, so wie in Deutschland üblich, ausgeschrieben und dann den besten von drei Bauträgern ausgesucht. Mit dem ist es dann aber leider voll in die Hose gegangen. Und wie wir später erfuhren, hätte es mit den beiden anderen auch nicht funktioniert. So läuft es eben auf den Philippinen. Deswegen haben wir lieber alles selber gemacht, also das Baumaterial beschafft, die Arbeiter angeheuert, den Bau überwacht und so weiter. Viel Ahnung hatte ich eigentlich nicht von der Sache, außer dass ich während meines Studiums ein paar Mal als Handlanger auf dem Bau ausgeholfen habe. Außerdem hatte ich schon immer ein Faible für alles Handwerkliche und habe gerne herumgeschraubt. Beim Hausbau sind mir übrigens ein paar typisch deutsche Tugenden sehr zugutegekommen: Pünktlichkeit, Fleiß, Qualität oder Ordnungssinn zum Beispiel. 

Jetzt ist das Haus nahezu fertig. Mittlerweile habe ich so viel Spaß an der Sache gewonnen, dass ich mir vorstellen kann, die Erfahrungen aus dem Projekt in Zukunft weiter beruflich zu nutzen, als Brückenbauer zwischen der philippinischen Community und Deutschen, die hier investieren und bauen wollen. Die einen haben die handwerklichen Fähigkeiten, die anderen das Geld. Ein wenig so wie damals bei der Volksbank, wo die Kunden Metzger, Tischler oder Metallbauer waren und ihre Bank der finanzielle Partner war.

Beispiele für die lokal gefertigten Wohnaccessoires, die man online in der Boutik Tropik bestellen konnte.

Vermisst du den alten Job nicht manchmal?
Nicht, dass ihr mich falsch versteht: Banking fand ich immer wirklich spannend und die Arbeit mit euch hat mir echt Freude gemacht. Aber in der Bank waren ein Monitor und ein Cursor mein Werkzeug, und heute kann ich alles wirklich anfassen und fühlen. Das liebe ich einfach. Daher kommt ja auch meine hohe Wertschätzung der philippinischen Handarbeit und die Idee hinter der Boutik Tropik.

Wir erfüllen unseren Kunden unter anderem den Traum vom eigenen Haus. Wie habt ihr es denn ohne Bank und ohne die Boutik Tropik geschafft?
Wie gesagt, vor zehn Jahren waren wir das erste Mal hier und haben uns spontan in die Insel verliebt. Damals war hier noch nicht so viel los wie heute. Wir hatten schon etwas Geld angespart und wollten eigentlich nur ein Grundstück für unser Haus kaufen. Dann hat man uns ein riesiges Areal von 25.000 Quadratmetern angeboten, dass der Verkäufer aber nur als ungeteiltes Ganzes verkaufen wollte. Erst haben wir uns gefragt, was mir mit so viel Land machen sollen. Das war auch finanziell ein großes Risiko. Aber wir fanden die Lage einfach perfekt und haben das fehlende Geld dann irgendwie zusammengekratzt. 

Weil das Grundstück so groß war, entstand unter anderem die Idee, von der ich vorhin erzählt habe. Ein eigenes stylishes Resort, das wir mit Möbeln lokaler Handwerker ausstatten wollten. Möbeln, die die Gäste und Besucher auch kaufen können. Aber dann begann die Covidkrise, dadurch kamen mit einem Mal keine Besucher mehr auf die Insel und unsere Investoren für das Projekt sprangen ab. Den Onlineshop haben wir dann ebenfalls auf Eis legen müssen. Vielleicht machen wir da demnächst auch weiter, aber erst einmal müssen wir uns von den Auswirkungen des letzten schweren Taifuns erholen.

______ Spuren der Verwüstung. Der verheerende Taifun ließ nur wenige Häuser und Palmen stehen. Erik Reinermann startete zusammen mit Freunden eine Hilfsorganisation und half monatelang Menschen in der Not. Von der Organisation von Wasser, Kleidung oder Medizin bis hin zu Lieferung von Diesel für die Generatoren. Irgendetwas wurde immer gebraucht.

Am 16. Dezember 2021 fegte der Supertaifun Rai mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 260 km pro Stunde über unsere Insel.

ERIK RIENERMANN

Schnell das neue Dach drauf, bevor der nächste große Regen kommt.

Von dem Taifun und seinen verheerenden Auswirkungen hast du uns ja schon Bilder gezeigt. Erzähl doch bitte noch einmal die Story dazu. 
Am 16. Dezember 2021 fegte der Supertaifun Rai mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 260 km pro Stunde über unsere Insel. Anschließend waren viele Häuser und Hütten zerstört und 90 % der Vegetation einfach weg. Wir selbst hatten Glück, unser Haus war stabil gebaut, nur das komplette Dach ist weggeflogen und lag ein paar hundert Meter weiter. Außerdem hat es zwar über 400 Palmen erwischt, aber unsere Pferde, Hunde, Hühner haben alle überlebt. Ina und unsere kleine Tochter sind dann zusammen mit weiteren Frauen und Kindern mit dem ersten Hilfsflugzeug zurück nach Manila geflogen, wo sie in Sicherheit waren. Und ich habe zusammen mit Freunden eine Hilfsoperation gestartet, um hier den Menschen in Not zu helfen. Die Leute besaßen ja schon vorher nur sehr wenig und jetzt hatten sie mit einem Mal gar nichts mehr, grauenvoll. Die nächsten drei Monate haben wir nonstop geackert, jeden Tag von morgens um sieben bis abends um halb acht. Wasser bringen, Klamotten besorgen, Medizin, Diesel für Generatoren und so weiter. Am Ende jedes Tages waren wir dann echt gar. Ich war heilfroh, dass meine Familie zu der Zeit nicht hier sein musste. Unser Haus gab es zwar, wie gesagt, noch, aber es hatte keinen Strom und das Dach war überall undicht. Überall standen Eimer, um das ständige Regenwasser aufzufangen, und ich habe auf einer Matratze auf dem Küchentisch geschlafen.

Du hast die Folgen des Taifuns täglich dokumentiert, selbst Videos gedreht und überall gepostet.
Ja, um Spender zu gewinnen und Sponsoren für den Wiederaufbau. Das hat auch ziemlich gut funktioniert. Jetzt sind wir aber alle total müde und erschöpft und brauchen dringend eine längere Auszeit, auch in Deutschland bei unserer Familie. Schöppingen ist für uns nach wie vor Heimatgefühl pur. Freunde treffen, nette Menschen besuchen, neue Energie tanken. Ideen, wie es danach weitergehen könnte, haben wir schon genug.

Anschließend waren viele Häuser und Hütten zerstört und 90 % der Vegetation einfach weg.

ERIK RIENERMANN

Du hast gesagt, ihr packt jedes Mal ein paar Portionen Heimatgefühl in eure Koffer, wenn ihr wieder nach Siargao fliegt.

Genau. Ein großes Glas Nutella, reichlich Pumpernickel und den „GUT&GÜNSTIG“-Weiße-Bohnen-Eintopf von Edeka. Der wird dann auf der Insel noch mit viel Wurst und Butter optimiert. Reicht für ein bis zwei Tage und schmeckt voll nach Heimat.

Hast du eigentlich noch ab und zu Heimweh?
Ich denke gerne an die Heimat, aber Heimweh würde ich das nicht nennen. Außerdem bin ich regelmäßig mit meiner Familie und meinen deutschen Freunden im Kontakt. Selbst während Corona oder des Taifuns habe ich nie gedacht, dass ich vielleicht besser in Deutschland geblieben wäre. Es gibt schließlich viele gute Gründe, warum wir uns entschlossen haben, in Zukunft lieber auf Siargao zu leben. Wenn ich mich einmal für etwas entschieden habe, dann stehe ich auch dazu und ziehe es durch. Ina übrigens auch. Daher würden wir es immer wieder genauso machen.

Wenn alles getan ist, geht der begeisterte Surfer Erik Reinermann gern noch runter an den Strand. Kann man gut verstehen, oder?